„Das Peter`sche Verwaltungsgebäude“

(Instrumentalisierung als SS-Sportschule, fürs SA-Hilfwerk Nordwest und als Kreishaus der NSDAP)

Das 1909/10 errichtete „Peter`sche Verwaltungsgebäude“, heute im Besitz der Continental AG und ContiTech GmBH, kann auf eine wechselvolle Geschichte zurückblicken. Durch eine Krise in der Gummiindustrie, die auch vor dem Korbacher Werk nicht Halt machte, geriet der Eigner Louis Peter (1841-1921) in eine finanzielle Schieflage, in deren Folge er aus seinem Unternehmen ausscheiden musste. Ihm blieben nur noch Anteile an der Kiliansbrauerei und das Verwaltungsgebäude der Korbacher Gummiwerke.  

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Conti-Verwaltungsgebäude heute

Der Verwaltungsrat der Mitteldeutschen Gummifabrik, später „Peters Union“, lehnte einen Ankauf ab. Louis Peter, nachfolgend seine  Erben, mussten schließlich für einen neuen Verwendungszweck des Gebäudes sorgen, das für Korbacher Zwecke eher überdimensioniert war.

Das repräsentative Gebäude in der Continentalstraße (ehemals Louis-Peter-Straße 3) hatte Höhen und Tiefen zu überstehen und wurde unterschiedlichen Nutzungen zugeführt: Kasino, Reservelazarett, Wohn- und Geschäftshaus, Kino, Möbellager, SS-Sportschule, Quartier des SA-Hilfswerks Nordwest, NSDAP-Kreishaus und später wieder Verwaltungsgebäude.

Am 1. April 1934 wurde in dem von der Stadt angemieteten Verwaltungsgebäude die SS-Sportschule untergebracht. Gleichzeitig wurden ein großer Schießplatz im Forstort Reckerohr hergerichtet und größere Flächen am Wipperberg und auf dem Melm angepachtet und als Übungsgelände bereitgestellt.

„Das ehemalige Verwaltungsgebäude der Firma Peters Union ist in den Jahren 1909-10 […] gebaut. Das Gebäude sollte hauptsächlich repräsentativen Zwecken dienen. [….] Im Erdgeschoss des Gebäudes befanden sich Speiseräume und eine Kantine, im ersten Stock waren mehrere Konferenzräume, Billardzimmer und ein Fürstenzimmer eingerichtet, die übrigen Räume waren als Büroräume bestimmt.“

„[…] Das Verwaltungsgebäude ist dann in den letzten Jahren infolge der auch hier in Corbach herrschenden grossen Wohnungsnot Wohnzwecken dienstbar gemacht, soweit dieses bei den einzelnen Räumen überhaupt möglich war.“

   „Seit dem 1. April ds. Js. [1934] wird das Verwaltungsgebäude ausschliesslich zur Unterbringung einer SS.-Geländesportschule verwandt. Der jedes Mal laufende Lehrgang hat eine Stärke von rund 250 Köpfen. Die Stadt hat seit dieser Zeit das Gebäude von der Firma Continental Gummiwerke gemietet und dem Beauftragten des Chefs des Ausbildungswesens bei der SA. Gruppe Hessen kostenlos zur Verfügung gestellt.“ (Aus den Akten der Stadtverwaltung Korbach)

Wie selbstherrlich die Mitglieder der SS-Sportschule in Korbach auftraten, verdeutlichen unzählige Tages- und Lageberichte an die Geheime Staatspolizei, die von Übergriffen berichteten.

„Die Ausschreitungen gegen die Juden in Korbach sind allem Anschein nach nur von der SS ausgegangen. Die Standarte hat Einschreiten zugesagt.“ (Bericht der Staatspolizeistelle in Kassel)

SS-Sportschule 2

SS-Sportschule, 1934

Ereignismeldung
10.4.
1934
Geheim
Landkreis Corbach.

Übergriffe durch SS.-Angehörige im Kreise Corbach

Am 9. April 1934 gegen 20 Uhr wurde der Sportlehrer Hans Frese in Corbach, der sich durch unliebsame Äusserungen über den nationalsozialistischen Staat und seine Einrichtungen missliebig gemacht hatte, von Angehörigen der SS.-Sportschule Corbach aus seiner Wohnung geholt. In der Schule wurde er misshandelt und dann der Polizei übergeben. Die Verletzungen sind nach Angabe des Polizei-Arztes nur äusserlich und ungefährlich. Die weitere ärztliche Behandlung erfolgt durch das hiesige Karlshospital [Kassel].
Mit der Aufklärung der Angelegenheit ist das Feldjägerkorps beauftragt.
Nach Abschluss der Ermittlungen wird erneut berichtet.

   An
das Geheime Staatspolizeiamt
Berlin SW 11
gez.  von Pfeffer.

 

Nicht einmal vor Übergriffen auf Mitglieder des Roten Kreuzes wurde halt gemacht.

„Angehörige der SS.-Schule Corbach haben am Sonntag, den 6.ds.Mts. [1934], eine Veranstaltung des „Roten Kreuzes“ gestört und den Unwillen der Teilnehmer erregt, da sie die Veranstaltung zum Austrag von Meinungsverschiedenheiten mit dem Kapellmeister der SA.-Kapelle benutzten und ihn verprügelten.
Bei dem als reaktionär bezeichneten Amtsgerichtsrat W e r n e r  in Corbach wurden in der gleichen Nacht einige Fensterscheiben eingeschlagen. Da fernerhin täglich mehr oder weniger erhebliche Reibereien mit der Bürgerschaft und Polizei vorkommen und das Ansehen der Bewegung und der SS. dadurch geschädigt wird, habe ich den Chef des Ausbildungswesens der SA. bei der Gruppe Hessen in Frankfurt, dem die Schule untersteht, von den Vorfällen Kenntnis gegeben und um sein Eingreifen ersucht.“

Am 10. Mai 1934 fand zwischen dem Vertreter des Ausbildungswesens der SA (Gruppe Hessen), dem Landrat, dem Bürgermeister und dem Leiter der SS-Schule in Korbach eine Aussprache statt. In der Besprechung wurde vereinbart, dass in Korbach gemischte SS-, SA- und Polizei-Streifen eingesetzt werden, um Zwischenfälle in Zukunft verhindern zu helfen. Wie wenig sich änderte, zeigen weitere Berichte.

1935 wurde die SS-Sportschule aufgelöst. An ihrer Stelle bezog nach mehrmonatigem Leerstand  am 18. November 1935 das „SA-Hilfswerk Nordwest“ das Gebäude, in dem nunmehr 150 – 180 Angehörige der „Österreichischen Legion“ untergebracht waren, die nach dem missglückten Putsch gegen Dollfuß im Juli 1934 geflüchtet waren.

 

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SA-Hilfswerk Nordwest,
18.11.1935

 

 

 

 

 

Im Juni 1933 wurde die NSDAP nach Terroranschlägen in Österreich verboten. Mit dem Verbot setzte eine Fluchtwelle von NS-Anhängern ein, deren militanter Kern sich zur „Österreichischen Legion“ formierte (eine überwiegend aus SA-Mitgliedern bestehende Söldnertruppe von zeitweilig 10 000 Mann). 1935 erfolgte die Umbildung der „Legion“ zum „Hilfswerk Nordwest“.

Sie versuchten von Deutschland aus, auf die Geschicke Österreichs Einfluss zu nehmen. Zunächst wurden sie von der deutschen SA-Führung in Lagern - vorwiegend in Bayern – untergebracht, militärisch ausgebildet und bewaffnet. Ihre Aufgabe bestand u.a. darin, von außen her Aktivitäten der österreichischen Nationalsozialisten durch Propaganda, Waffen- und Flugblatt-Schmuggel oder Gewalttaten in Österreich zu unterstützen.

Die „Österreichische Legion“ agierte in Deutschland im Spannungsfeld rivalisierender Parteiinstanzen und staatlicher Behörden, bevor sie  aus den grenznahen Gebieten abgezogen und in den Norden Deutschlands verlegt wurde, wo sie unter der Tarnbezeichnung „Hilfswerk Nordwest“ bis 1938 weiter existierte, politisch aber an Bedeutung verlor.

 

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Bürgermeister Dr. Zimmermann (links) übergibt dem Lagerführer Obersturmbannführer Oberfeld (rechts) die Schlüssel.

 

 

 

Die Stadt Korbach gestattet der Mieterin die Benutzung der städtischen Göring-Kampfbahn einschl. der Kleinkaliber-Schießstände und des sogenannten Hauerplatzes für Übungszwecke.  Desgleichen gestattet die Stadt die Benutzung des städtischen Sommerbades für geschlossene Abteilungen zu einer zu vereinbarenden Tageszeit […].“
Im Ortsgruppenbuch der NSDAP wird über die Ereignisse des 18. November 1935 berichtet:

„Schon am Vormittag trugen die meisten Korbacher Häuser festlichen Fahnenschmuck, um die braunen Soldaten des Führers, die ihre Heimat Österreich verloren, denen von nun an Korbach eine zweite Heimat sein soll, zu grüßen. Kurz vor 12 Uhr lief der Sonderzug auf dem Hauptbahnhof ein. Der Ortsgruppenleiter richtete herzliche Begrüßungsworte an die Kameraden vom Hilfswerk. Nach einem Marsch durch die Stadt gings zum Lagerhof, wo Bürgermeister Dr. Zimmermann den Schlüssel überreichte.“

Mit den Österreichern waren viele Frauen und Kinder in Korbach eingetroffen, die nur mit ihrer Kleidung am Leib eintrafen. Korbacher und die Stadt sorgten u.a. für Möbel, Kleidungsstücke, Geschirr, Herde oder Öfen.

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Übernahme des Verwaltungsgebäudes

Am 30. März 1937 verließ das „Hilfswerk Nordwest“ Korbach und siedelte in ein Sammellager nach Bocholt über. Noch Mitte des Jahres richtete sich die Kreisleitung der NSDAP mit ihren Unterorganisationen im Gebäude ein.

Mit Kriegsende 1945 konnte das Bauwerk wieder dem anfänglichen Zweck zugeführt werden, nämlich das Verwaltungsgebäude dieses Werks zu sein. Nach sorgfältiger Renovierung in den sechziger Jahren erinnert heute nichts mehr an die zahllosen Zweckentfremdungen in der wechselvollen  Geschichte des Gebäudes.

 

Copyright © Marion Lilienthal

Technische Realisierung: Anne Kersting, Dominic Antony