Das Korbacher Stadtgefängnis

(Verfolgung politischer Opposition)

Mit der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler änderte sich in Deutschland nicht nur die Regierung. Deutschland verabschiedete sich spätestens 1933 für mehr als zwölf Jahre von der Demokratie.

Mit der Reichstagsbrandverordnung vom 28. Februar 1933 und dem Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933 wurde die Weimarer Verfassung außer Kraft gesetzt und die gesetzgebende und ausführende Gewalt auf Hitler übertragen. Parteipolitische Interessen gaben nun den Ausschlag, nicht mehr Rechtsprinzipien.

Koordinierte Maßnahmen gegen Sozialdemokraten und Kommunisten setzten schlagartig ein. Der Reichstagsbrand vom 27.02.1933 wurde dazu benutzt, um mit der erlassenen Notverordnung wichtige Grundrechte außer Kraft zu setzen und groß angelegte Verhaftungswellen und Hausdurchsuchungen zu legitimieren. Bereits einen Tag später fanden auch in Korbach umfangreiche Hausdurchsuchungen statt.

„Am Dienstag nachmittag [28.2.1933] bis abends spät fanden bei führenden Mitgliedern der Corbacher Ortsgruppe der Kommunistischen Partei Durchsuchungen statt. Alle vorgefundenen Druckschriften, ferner ein Gummiknüppel, ein altes unbrauchbares Gewehr ohne Schloß und ein altes Seitengewehr wurden beschlagnahmt. [...] In der Nacht von Dienstag auf Mittwoch wurden verbotswidrig von Kommunisten Flugblätter mit politischem Inhalt vor die Häuser gelegt. Als verdächtigt, an der Verteilung beteiligt zu sein, wurden von den Polizeibeamten vier Kommunisten festgestellt; Anzeige bei der Staatsanwaltschaft wurde erstattet.“ (Waldeckische Landes-Zeitung vom 02.03.1933)

Verhaftungen folgten, wie aus der Zeitung hervorgeht:

„Da der Verdacht vorlag, daß weitere verbotene Druckschriften bei führenden Kommunisten in Corbach aufbewahrt wurden, fand am Donnerstag vormittag [02.03.1933] auf Anordnung der Ortspolizeibehörde eine erneute Durchsuchung von 5 Häusern statt.
„[…] Bei einem Kommunistenführer wurde eine größere Menge neuer Flugblätter gefunden, die zur Verbreitung in verschiedenen waldeckischen Orten bestimmt waren und in denen zum Umsturz des Staates aufgefordert wird. Der Kommunistenführer wurde festgenommen [...].“

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Das Korbacher Stadtgefängnis wurde 1969 geschlossen und 1984 abgerissen. An seiner Stelle steht seit 1986 der Erweiterungsbau des Amtsgerichts, nur das Gefängniswärterhaus blieb erhalten

Die Korbacher Polizei blieb aber auch von  „Säuberungsaktionen“ nicht verschont. So wurde der leitende Korbacher Polizeimeister kurzerhand wegen angeblicher „nervöser Erschöpfung“ (vgl. WLZ vom 02.03.1933) „beurlaubt“. Dafür entsandte das Regierungspräsidium Kassel sogleich einen neuen Ordnungshüter, der dem „antimarxistischen“ und „antikommunistischen Abwehrkampf“ scheinbar offener gegenüberstand. U.a. wurden die Stellen des ausscheidenden Wegewärters und Nachtschutzmannes 1934 mit SA-Mitgliedern besetzt.

Das „Dienstlokal“ der Stadtpolizei befand sich im Rathaus, wo auch eine Arrestzelle eingerichtet war. Jugendlichen, die Ausgangszeiten missachtet hatten oder betrunken auf der Straße angetroffen wurden, drohte der Wochenendarrest. Ein Arrestraum soll sich auch im Amtsgericht befunden haben. Die Gefangenen des Stadtgefängnisses trugen blaue Anstaltskleidung.

Ab dem Sommer 1933 bis zum Herbst 1934 setzte in Korbach und Region eine umfassende Verhaftungswelle ein.

In regelmäßigen Abständen erstellte der Landrat in Korbach dem Regierungspräsidenten in Kassel Bericht (betr. Vollstreckung der Polizeihaft).  Im Juni 1933 befanden sich drei politische Häftlinge in Polizeigewahrsam, am 11. Juli bereits sechs. Der Landrat berichtete am 11. Juni 1933 emotionslos:

„In Erledigung nebenstehender Verfügung berichte ich zu
a). Es sind 6 politische Häftlinge vorhanden, gegen die Freiheitsbeschränkungen
von hier angeordnet sind.
b). Alle 6 Personen befinden sich nicht in Konzentrationslagern [,] sondern
in anderem Polizeigewahrsam.“

Dies sollte sich ändern. Am 13. Februar 1934 berichtete der Landrat:

      „In Erledigung nebenstehender Verfügung berichte ich zu
a) 2 Schutzhäftlinge,
b) 1 Schutzhäftling (Schild) in Breitenau [Konzentrationslager]
c) 1 politischer Häftling (Mohaupt) im Konzentrationslager in Sonnenburg.“

 

Gefängnis Gang

„Sträflingstrakt“, 1984 abgerissen.

Unter den Gefangenen waren nicht nur Kleinkriminelle, sondern auch Juden und politisch Verfolgte, so genannte „Volksverräter“, „Miesmacher“ oder  „Kritikaster“. Meist waren es nur kleine Dinge – eine unbedachte kritische Bemerkung  - oder sonstige Unmutsbekundungen, die verheerende Folgen haben konnten.

Schwerverbrecher wurden in die Strafanstalt Kassel-Wehlheiden überführt. Aber auch Korbacher Oppositionelle fanden sich in den Kasseler Gestapodienststellen (Geheime Staatspolizei) und der Strafanstalt Wehlheiden wieder, um - den öffentlichen Blicken entzogen - so genannte „Befragungen“ (in den Folterkellern und sonstigen Einrichtungen der Gestapo) und „Verhöre“ über sich ergehen zu lassen.

So musste der neunjährige Heinz Altenhein am 4. Februar 1937  miterleben, wie die Gestapo in tiefer Nacht in das Elternhaus eindrang, alles verwüstete und den Vater Friedrich Altenhein verschleppte. Das Datum hat sich tief in das Gedächtnis des Sohnes eingegraben, obwohl er an jenem Tage noch nicht ahnte, dass sein Vater mit anderen Gesinnungsgenossen aktiv gegen Hitler und dessen braune Diktatur tätig gewesen war.

„Während der Nachtschicht kam die Gestapo […] an die Maschine [des Vaters], an der er gerade arbeitete, und fragte: „Sind Sie Fritz Altenhein?“ „Ja!“ „Du bist verhaftet.“ Dann fuhren sie zu unserem Haus und holten uns morgens um 5 Uhr aus dem Bett. Wir Kinder saßen im Nachthemd verschüchtert auf der Eckbank. Mein Vater war weiß wie die Wand und meine Mutter total verschreckt. Dann habe ich noch ganz furchtbar in Erinnerung, wie das gesamte Haus auf den Kopf gestellt wurde.“

„Als die Gestapo-Männer „ihre Arbeit“ bei uns beendet hatten und mein Vater ohne Abschiedsgruß in ihren Mercedes gestoßen wurde, ahnten wir nicht, dass wir ihn erst nach neun Jahren und einen Monat wieder sehen würden.“

Erst später erfuhr die Familie, dass weitere Oppositionelle verhaftet und auf dem Hof des ehemaligen Landratsamtes in der Prof.-Bier-Straße (heute Sitz der Hess. Brandkasse) zusammengetrieben worden waren, wo sie bis zum Mittag verblieben. Dabei soll es zu grausamen Prügelszenen gekommen sein. Es war ein kleiner Vorgeschmack auf das, was sie in den Gestapokellern, Zuchthäusern und Konzentrationslagern erwartete.

Die „Waldeckische Landes-Zeitung“ schrieb am 6. Februar 1937 im Lokalteil: „In unserm Kreis wurden einige asoziale Elemente, die sich dem nationalsozialistischen Staat gegenüber feindlich verhalten hatten, festgenommen und der Bestrafung zugeführt.“


Katthagen

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Familie Altenhein am 02.07.1936, Haus am Katthagen 2

Friedrich Altenhein erhielt drei Jahre Zuchthaus, fünfeinhalb Jahre Konzentrationslager folgten. Jahre menschenverachtender Folter, Qual und Todesangst. Mehr als 9 Jahre seines Lebens vergingen, bis Heinz Altenhein seinen Vater im März 1946 wiedersah.

Korbacher Polizisten waren bei den Hausdurchsuchungen der Gestapo zugegen. Offener Widerstand gegen derartige Praktiken unterblieb, manche Sympathie ließ sich feststellen. So ließen sich aber auch Akte der Geistesgegenwart und Menschlichkeit – auch bei Parteigängern – ermitteln, die Verfolgte vor Inhaftierung, Konzentrationslager oder dem sicheren Tod bewahrten. Meist waren es kleine Dinge, die große Wirkung hervorriefen.

„Im Februar 1937 führte die Gestapo unter Beteiligung des Polizeileutnants Daniel bei dem Kommunisten Mast eine Haussuchung nach illegalen Schriften durch. Polizeileutnant Daniel fand eine besonders gefährliche Schrift, nahm sie - ohne den Gestapobeamten Meldung zu machen - an sich und ließ sie nicht zu den Akten gelangen, sondern gab sie der Ehefrau Mast zurück mit dem Rat, sie sofort zu verbrennen.“

Korbacher Gefangene wurden in der Stadt zu Arbeitseinsätzen herangezogen. Dazu gehörten u.a. Wegebau-, Straßenräumarbeiten (in den Wintermonaten) oder das Schlagen von Holz, auch für Privathaushalte. Mit einem Handkarren wurden Privathaushalte mit Holz beliefert. Außeneinsätze boten gute Fluchtmöglichkeiten.

Als 1945 die Amerikaner in Korbach einmarschierten, wurden die Gefängnisinsassen freigelassen. Beim Herausstürmen traktierte man den damaligen Wachtmeister Wunderlich mit Stuhl- und Tischbeinen.

Der Sohn, der ihn fand, versuchte ihn noch zu retten. Mit einem Handwagen transportierte er seinen schwer verletzten Vater ins Krankenhaus. Doch jede Hilfe kam zu spät.  Der Wachmann erlag schließlich seinen schweren Verletzungen.

Mit dem Einmarsch der Alliierten wendete sich das Blatt. Jetzt saßen im Stadtgefängnis u.a. neben Kleinkriminellen, einfachen Bürgern, die zum Beispiel nur die Ausgangssperre missachtet hatten, jene Nationalsozialisten, die für das verbrecherische und diktatorische System des „Dritten Reiches“ mitverantwortlich waren, eines Systems, das viele Millionen unschuldiger Menschen das Leben gekostet hatte.

1984 wurde das Stadtgerichtsgefängnis abgerissen. An jener Stelle befindet sich seit 1986 der Erweiterungsbau des Amtsgerichts.

Heute gibt es lediglich nur noch zwei Zellen im Gebäude des Amtsgerichts zur Verwahrung von Personen vor Gerichtsanhörungen. Das Einzige, was heute noch an das alte Gerichtsgefängnis erinnert, ist das kleine Wachtmeisterhäuschen, das all die Jahre gut überstanden hat. Es kann  noch heute besichtigt werden.

Den vielen unschuldigen Menschen, die zwischen 1933 und 1945 im Korbacher Gefängnis nur aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit oder einer anders gearteten politischen Einstellung inhaftiert waren, wird dies keine Entschädigung sein.

Nachkriegsprozesse zeigten aber mit aller Klarheit, zu welchen furchtbaren Verbrechen es in der NS-Zeit gekommen war und wie schnell man als „Staatsdiener“, bewusst oder unbewusst, Handlanger eines verbrecherischen Systems werden konnte.

Gefängnis Lichtblick

Blick aus dem Korbacher Stadtgefängnis

W. Hasseloff berichtet, dass allein in Waldeck 153 Sozialdemokraten und alle kommunistischen Wahlkandidaten verhaftet wurden. Nach einer „Loyalitätserklärung” der Inhaftierten, sich von linken Gruppierungen zu distanzieren und Angriffe gegen Regierung und Partei zu unterlassen, ordnete die Kreisleitung der NSDAP meist die Entlassung an.

„Nach den Angaben der von Heinrich Ruppert im Landratsamt Korbach geleiteten Betreuungsstelle für politisch, rassisch und religiös Verfolgte des Kreises Waldeck zählte man im Dezember 1946 200 Verfolgte und Hinterbliebene: 95 Männer und neun Frauen waren wegen ihrer politischen Gegnerschaft mit Gefängnis- oder Zuchthausstrafen bestraft worden; sechs Mitglieder der Zeugen Zehovas und zwei Pfarrer der bekennenden Kirche wurden wegen ihres Glaubens, 53 Männer und 24 Frauen wegen ihrer „Rasse“ verfolgt.“

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