Synagoge

(Jüdische Gemeinde/ Pogromnacht)

Synagogenrest 

In den 60iger Jahren des 18. Jahrhunderts erhielten mehrere jüdische Familien als so genannte „Schutzjuden“ vom Waldecker Fürsten die Erlaubnis zur Niederlassung in Korbach. Nahezu 130 Jahre vergingen, bis sie über die Möglichkeiten verfügten, eine Synagoge errichten zu können. Es dauerte aber nur noch 43 Jahre, bis das Gebetshaus Opfer von Hitlers Abgesandten wurde und in Flammen aufging. Heute erinnert nur noch ein Hinweisschild an die Existenz des jüdischen Gebetshauses.

Die Korbacher „Judenschaft“ bildet wohl die erste Gemeinde im Fürstentum Waldeck. Im Jahre 1770 wurde in Korbach eine jüdische Kultus-Gemeinde gegründet. Erst mit Gesetz vom 15.08.1833 war jeder jüdische Glaubensgenosse verpflichtet, Mitglied einer solchen Gemeinde zu werden.

Fassadenteil der Synagoge nach der Pogromnacht 1938

Eine Gemeindeverfassung war für die Regelung der Rechnungs- und Kassenführung, die Armenpflege und die Organisation der Gemeinde zuständig. Die Verwaltung wurde durch verschiedene Inspektoren durchgeführt. Der bei der Gemeindegründung eingesetzte Betrag von 2700 Talern war damals eine stattliche Summe. Unter staatlicher Aufsicht verwaltete sich die Jüdische Gemeinde selbst und konnte religiöse, erzieherische und soziale Aufgaben autonom entscheiden.

Aufgrund des Gesetzes von 1833 musste auch ein Synagogenbuch geführt werden, welches Einträge zur Geburt, Trauung oder Sterbefall vorschrieb. Die Bücher führte zunächst der Vorsteher der jüdischen Gemeinde, ab 1859 die Pfarrer der St. Kiliansgemeinde.

Die Personenstandsführung oblag bis 1875 weiterhin der jüdischen Gemeinde. Erst mit der Einrichtung reichsweiter Standesämter 1876 ging das Personenstandswesen auf den Staat über. 1933 übernahm dies das Reichssippenamt in Berlin.

Die letzten Vorsteher der jüdischen Gemeinde waren Simon Wittgenstein, Vater Jakob Wittgensteins (zwischen 1833 und 1851), Jacob Markhoff (vor 1913), Edmund Mosheim (bis zur Deportation der letzten Korbacher Juden 1942) und Bernhard Lebensbaum, einer der wenigen Überlebenden der Deportation, der jedoch nur als Vertrauensmann „für alle Juden betreffenden Angelegenheiten“ fungierte. Seit 1942 gibt es keine Jüdische Gemeinde mehr.

1893 erwarb die jüdische Gemeinde das Grundstück am Tempel 5. Auf ihm befanden sich neben einem Fachwerkhaus weitere Wirtschaftsgebäude. In dem 1781 erbauten Wohnhaus richteten sie Schulräume für jüdische Kinder ein. In ihm wohnte auch der jüdische Lehrer, der zugleich das Amt des Vorbeters innehatte.

Im Tempel o   Im Tempel
Synagoge Lageplan                    Lageplan

Die 1895 fertig gestellte Synagoge beherbergte 130 Sitzplätze neben 16 Plätzen für den Chor. Am 28. Mai 1895 erschien ein lobender Bericht in der „Corbacher Zeitung“ (28.05.1895) über die Einweihungsfeierlichkeiten vom  24. Mai 1895.

„Die Einweihung der neuerbauten Synagoge hierselbst vollzog sich am Freitag und Sonnabend unter Beteiligung der Staats- und städtischen Behörden sowie zahlreicher auswärtiger Gäste in würdiger Weise. Am Freitag Nachmittag 4 ½ Uhr versammelten sich die Mitglieder der israelischen Gemeinde in ihrem alten Gotteshause, um daselbst die Abschieds-Andacht zu verrichten. Alsdann wurde die Gebetsrolle in geordnetem Zuge bis zum Portale der neuen Synagoge gebracht.“

Synagoge Grundriss

In der Corbacher Zeitung wurde damals berichtet, dass die Synagoge einen „vorteilhaften Eindruck“ hinterlassen habe und dass elektrisches Licht und sogar eine Orgel vorhanden seien, was für jüdische Gotteshäuser eher atypisch war.

Grundriss der Synagoge

Die Synagoge war ein massiver, roter unverputzter Backsteinbau mit einem Schieferdach im neuromanischen Stil. Das bescheidene Bauwerk hatte einen Grundriss von 10 mal 17 Metern. Über dem seitlich angelegten Eingang befand sich ein Davidstern. Die Synagoge diente als Gebetsstätte und Ort der Begegnung.

 

Gottesdienst hätte eigentlich in jedem Raum abgehalten werden können, ein sakrales Gebäude ist nicht notwendig. Wichtig sind nur das Vorbeterpult und ein Schrank zur Aufbewahrung der Thorarollen.

Frauen und Männer sitzen üblicher Weise getrennt, Frauen meist im Hintergrund (Seitenteil oder Empore). Geleitet wird der Gottesdienst durch den Vorbeter (Vorsänger, Rabbiner, Lehrer).

Vor dem Neubau der Synagoge  befand sich in der  Unterstraße 5 ein Raum für den Gottesdienst, der noch bis 1911 (Bau der Marienkirche) durch die katholische Gemeinde genutzt wurde.

Das Haus wurde 1848 vom damaligen Vorsteher der jüdischen Gemeinde, dem Kaufmann Simon Wittgenstein, errichtet. Heute befindet sich dort ein Parkplatz der Waldecker Bank.

Alte  Synagoge Unterstr

 

 

 

 

 

Altes Gebetshaus in der Unterstr. 5

 

Die jüdische Synagoge wurde in der Pogromnacht (9./10. November 1938) durch einen gezielten Brand vernichtet. Die Zerstörung erfolgte nach Anstiftung und auf Befehl höherer Parteistellen, woraufhin ein Großteil der Synagogen in Deutschland angesteckt wurden.

 

Brand-Synagoge 

Blick vom St. Kilian am Morgen des 10. Novembers 1938 zeigt den noch schwelenden Brand der Synagoge und jüdischen Schule.

Nach der Machtübernahme Hitlers 1933 wanderten viele jüdische Mitbürger nach Frankreich, England, Palästina, Brasilien, Holland oder in die Vereinigten Staaten aus.

Andere zogen in Großstädte, da sie glaubten, dort untertauchen zu können. Schließlich blieben rund 50 Juden in Korbach zurück. Die letzten wurden 1942 von der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) nach Riga und Theresienstadt verschleppt.

Im Juni 1942 verließen die letzten Korbacher Juden die Stadt. 42 Korbacher Juden wurden Opfer des Nationalsozialismus. Wenige der Verbliebenen überlebten die Gräuel der Konzentrationslager.

Der Historiker Hermann Graml sagt über die Vernichtung der Juden:

„In logischer Fortsetzung eines Prozesses, der keineswegs als Radikalisierung, sondern lediglich als Reifung einer ihrem Wesen nach radikalen Überzeugung zu charakterisieren ist, […] wurde nach Entrechtung, Isolierung und Enteignung nun als nächstes und eigentliches Ziel die Ausrottung der Juden denkbar und wünschbar.“

Schon der Pogrom selbst hatte das deutlich gemacht.  Anfang 1939 war die Förderung der „Lösung der Judenfrage“ Hauptziel der Nationalsozialisten, die Ausrottung der Juden in Deutschland und Europa.

Die Korbacher Synagoge soll am Abend des 9. November 1938 von SS-Männern angezündet und niedergebrannt worden sein. Nun stellt sich die Frage, was mit den Korbacher Juden in der Pogromnacht geschah? Es gibt für dieses schreckliche Ereignis einen Augenzeugenbericht. Herr Plutz  beschreibt, dass er am Abend des 9. November beobachtete, wie Jugendliche der Hitlerjugend Scheiben der Synagoge einschlugen und Gebetsrollen herumwarfen. Die „Judenschule“ stand plötzlich in Flammen. Das Feuer weitete sich aus und die Synagoge fing an zu brennen.

In der Waldeckischen-Landeszeitung erschien am 12.11.1938 ein Artikel über die Pogromnacht. Es hieß, dass es so genannte Ausschreitungen bei jüdischen Häusern und Festnahmen von Juden („Schutzhaft“) gab.

 

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Bericht der Waldeckischen Landes-Zeitung über die Pogromnacht, 12. November 1938

Etliche Korbacher sollen mit Strohballen erschienen sein, um damit den Brand der Synagoge und der Schule zu beschleunigen.

„Es kam der 9. November 1938 [die Reichspogromnacht]. Die Brandstifter der SS hatten auch noch die Frechheit, Edmund Mosheim als Vorsteher der jüdischen Gemeinde die Schneiderrechnung vorzulegen über die Reparaturen von zwei SS-Uniformen, die angeblich „beim Löschen“ (!!) der Synagoge beschädigt worden waren.“

Man steckte nicht nur ihre Synagogen an, schmiss ihre Scheiben ein, zertrümmerte Eingangstüren, entwürdigte und misshandelte sie, sondern ließ sie auch noch eine „Sühneleistung“ von einer Milliarde Reichsmark entrichten. Zahlungen von Versicherungen wurden beschlagnahmt.

Hierin äußert sich der damals herrschende Zynismus, indem die jüdischen Opfer für die von den Nationalsozialisten bei ihnen angerichteten Schäden auch noch zur Rechenschaft gezogen wurden.

Außerdem gibt es weitere Belege dafür, dass Gewalttaten an den Häusern der jüdischen Bürger verübt wurden. Viele männliche Juden wurden in dieser Nacht in das Konzentrationslager Buchenwald gebracht (siehe Kapitel „Julius Heinz Löwenstern“).

Der Korbacher Jude Albert Löwenstern war nicht der einzige, der nach der Pogromnacht in das Konzentrationslager Buchenwald verschleppt wurde. Nach seiner Rückkehr war er – wie so viele andere - physisch und psychisch ein gebrochener Mann. Seine Familie floh mit dem vorletzten deutschen Schiff nach Argentinien, auf dem Albert Löwenstern kurz vor der Ankunft starb. In der Nacht vor der Abreise kamen sie bei einem führenden Korbacher Nationalsozialisten unter, weil dieser befürchtete, dass die Gestapo die Familie Löwenstern verhaften würde.

Die Korbacher Synagoge soll nach Schilderungen am 9. November zwischen 20.30 Uhr und 21.30 Uhr angezündet worden sein, also bereits vor Beendigung der Goebbels-Rede, die als Auftakt zu reichsweiten Ausschreitungen galt. Die Pogromnacht in Korbach zählt damit zu den frühen Pogromen Kurhessens.

jüdische Bürger Synagoge d

Jüdische Bürger vor der niedergebrannten Synagoge nach der Pogromnacht

Die einzigen Überbleibsel der Synagoge sind ein Leuchter und der Rest eines Balkens, die heute im Korbacher Bonhage-Museum aufbewahrt sind.  Auf dem Balken sind die Reste einer hebräischen Inschrift, des wichtigsten Gebetes des Juden, zu erkennen. Es handelt sich um einen Teil aus dem Schmar. Vollständig lautet der Text: „Höre, Israel, der Ewige, unser Gott, der Ewige ist einzig! Gelobt sei der Name der Herrlichkeit seines Reiches immer und ewig.“

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