Bürgerschule/ heute Westwallschule

(Instrumentalisierung/Ideologisierung)

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Bürgerschule/heute Westwallschule

 

„Wer die Jugend hat“, versicherten die Nationalsozialisten, „der hat die Zukunft“. Sie taten daher alles, um beides für sich zu gewinnen. Ihr Erfolg lag wesentlich darin begründet, dass sie mit Erneuerungs- und Jugendpathos Verkrustungen der Gesellschaft anprangerten und sich als „jugendliche Kraft“ ausgaben.

Um eine vollständige Identifikation mit dem NS-System und dessen Fortbestand zu garantieren, sollten Kinder und Jugendliche möglichst früh im Sinne der NS-Ideologie sozialisiert werden. Zum wichtigsten Instrument dieser Erziehung wurde neben der Hitlerjugend (HJ) die  Schule.

Wie wenig den Nationalsozialisten an individueller Bildung und Förderung der einzelnen Schüler gelegen war, verdeutlicht ein Auszug aus den „Allgemeinen Richtlinien“ von 1933: „ Die Volks-schule hat nicht die Aufgabe, vielerlei Kenntnisse zum Nutzen des einzelnen zu vermitteln. Sie hat alle Kräfte der Jugend für den Dienst an Volk und Staat zu entwickeln und nutzbar zu machen.“

Durch entsprechende Erlasse, Verordnungen, Kontrollmaßnahmen, Filmvorführungen und Lehrplanänderungen versuchte man eine „emotionale Formierung“  in Sinne der NS-Ideologie zu erreichen, sowie Schüler/innen durch Zugeständnisse und Vergünstigungen (Unterrichtsausfall, NS-Veranstaltungen, Sonderbestimmungen für HJ-Mitglieder) zu korrumpieren und manipulieren. Für die NS-Schulpolitik kennzeichnend war eine verstärkte Politisierung des gesamten Schullebens.

„ Aus dem Schulleben“ der Bürgerschule (1934/35, Auszug)

20. April:         Feier aus Anlaß des Geburtstages des Führers [Adolf Hitler].
1. Mai:             Teilnahme der Schule am Fest der deutschen Arbeit.
5. Mai:             Teilnahme der Lehrer an der Gauversammlung des NSLB. 
[Nationalsozialistischer Lehrerbund] in Kassel mit Ansprache des
Reichsleiters Schemm.
8. Mai:             Besuch der Filmvorführung "Günther Plüschows Fliegerschicksal".
28. Juni:           Trauergedenkfeier zur Erinnerung an den Abschluß des Versailler  Vertrages.
7. August:        Teilnahme an der örtlichen Trauerfeier für den verstorbenen 
Reichspräsidenten von Hindenburg.
11. August:      Staatsjugendtag
17. August:      Filmbesuch "Walter Mittelhofers Afrikaflug".
29. August:       Vortrag des VDA [Verein für das Deutschtum im Ausland].
12. September: Vereidigung der Lehrer und Lehrerinnen auf den Führer durch den Schulrat
15. September: Fest der deutschen Schule.
26. September: Lönsfeier
14. Oktober:     Besuch des Puppenspiels "Rumpelstielzchen" anläßlich der Werbewoche
der  NS-Kulturgemeinde
4. Dezember:    Besuch des Films "Rund um Helgoland"
15. Januar:        Saarfeier.
18. Januar:        Reichsgründungsfeier [Kaiserreich]
30. Januar:        Rundfunkübertragung zur Erinnerung an die Machtübernahme [Hitlers]“

Gemäß der Bestimmung des Reichsjugendführers erhielt als erste in Waldeck die Schule in Rhenegge im November 1935 das Recht verliehen, neben der Hakenkreuzfahne die HJ-Fahne hissen zu dürfen. „Nach der schriftlichen Bestätigung des Gebietsführers des Gebiets 14 ist die Verleihung eine Anerkennung dafür, daß die Angehörigen der Schule 100prozentig im Jungvolk und BDM erfasst sind (Waldeckische Landes-Zeitung, 21.11.1935).“                                            

Als Indiz nahezu 100-prozentiger Erfassung  der Schülerschaft in der Hitlerjugend wurde es der Korbacher Stadtschule ab Januar 1936 gewährt, die Hitlerjugendfahne neben der Hakenkreuzfahne weithin sichtbar hissen zu dürfen (Waldeckische Landes-Zeitung vom 14.01.1936).

HJ-Fahne-Korbach--14
Welcher  Druck muss auf den jüdischen Schülern nach 1933 gelastet haben, die dem „ersehnten Ziel 100-prozentiger Arisierung“ im Weg standen?

Wegen der zunehmenden Judenverfolgung ließen die Eltern ihren Sohn Manfred Goldwein (geb. 1924) im Februar 1938 in die USA auswandern.

M Goldwein Burgh

Die jüdischen Schüler Manfred Goldwein (hinten, 5. v. l.) und Burghard Löwenstern (vorne, 3. v. l.) im Kreise einiger Freunde, vermutl. September 1933, Jahrgang 1923/24

Sie sollten ihren Sohn nicht mehr wiedersehen. Die Spuren der Eltern (Moritz Goldwein, letzter jüdischer Lehrer der Korbacher Gemeinde, und Rosalia, geb. Schnellenberg) verlieren sich im Vernichtungslager Auschwitz.

Manfred lebte nach 1938 in Philadelphia und wurde später Arzt. Burghardt Leonhard Löwenstern (geb. 1924), Tränkestraße 8, konnte sich mit seinen Eltern rechtzeitig in Australien in Sicherheit bringen. Er verstarb dort 1983.

Wie stark antisemitische und rassistische Tendenzen den Schulalltag bestimmten, hing von einzelnen Lehrern und Schülern ab.  Manche Schüler hielten trotz Einschüchterungsversuchen und Deklassierungen an ihren jüdischen Freunden fest, wie folgendes Photo beweist.

 

 

M Goldwein Burghard Löwenstern

Freunde in Korbach vereint: Burghard Löwenstern (vorne, 1. v. l.) und  Helmuth Küthe (hinten, 2. v.l.),die Bleiche an der Allee (vermutl. 1930)

 

Löwenstern Burghard

Bildrückseite:
„Meinem lieben treuen Freund
Helmut zur Erinnerung
Burghard Löwenstern
7.7.[19]36

 

 

 

 

 

Der nichtjüdische Freund war Helmut Küthe, der am 4. Dezember 1942 als Soldat in Russland fiel.

 

 

 

 

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