Beiträge

Gedenkfeier am 27.01.2017

„Terror, Verfolgung und Widerstand in Korbach“

Copyright: erforscht und verfasst von Dr. Marion Lilienthal, 2017.

Standbild

B1) „Wenn Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht!“

Sprecher 1

Ist es ein Verbrechen, lange Haare zu tragen, ein gutes Buch zu lesen oder moderne Musik zu hören? Kann man dafür eingesperrt werden, wenn man sich mit „Guten Tag“ grüßt oder zu einem jüdischen Nachbarn freundlich ist? Steht darauf die Todesstrafe, wenn man auf der Straße eine unbedachte Äußerung macht oder wenn man einen ausländischen Radiosender hört? Eigentlich nicht! Aber während der NS-Zeit schon.

KURZFILM

Sprecher 2

In der ersten Phase des NS-Regimes richtete sich der Terror vor allem gegen politische Gegner, in erster Linie gegen Kommunisten, Sozialdemokraten und Gewerkschaftsvertreter. Zu Tausenden wurden reichsweit Oppositionelle von lokalen SS- und SA-Gruppen misshandelt und verhaftet. Korbach bildete dabei keine Ausnahme. Die neuen Machthaber beglichen nun alte Rechnungen.

B2) Bahnhofstraße 11

Sprecher 3

Der Färberei- und Wäschereibesitzer Christian Rühle aus Korbach, Bahnhofstraße 11, wurde 1940 verhaftet, weil er angeblich einen englischen Sender gehört haben soll. Das Sondergericht Kassel verurteilte ihn am 4. Februar 1942 zu einer Zuchthausstrafe von zwei Jahren.

B3) Wilhelm Seibert

Sprecher 4

Der Korbacher Kommunist Wilhelm Seibert wurde von SS-Männern so stark misshandelt, dass er noch Wochen nach dem Übergriff an den Folgen seiner Verletzungen litt. Es traf aber auch Juden, Judensympathisanten, Menschen, die dem Nationalsozialismus kritisch gegenüber standen.

Sprecher 5

Wilhelm Seibert und Friedrich Schulz aus Korbach waren bei der Volksabstimmung über das Staatsoberhaupt des Deutschen Reiches am 19. August 1934 so couragiert, öffentlich gegen Hitler zu stimmen. 4715 Korbacher und Korbacherinnen hatten Hitler gewählt, nur 28 stimmten gegen Hitler und den Nationalsozialismus. Unter ihnen der ehemalige Stadtverordnete Friedrich Schulz und Wilhelm Seibert. Ihr politisches Engagement mussten beide teuer bezahlen. Friedrich Schulz erlag 1942 mit 47 Jahren seinen unmenschlichen Haftbedingen.

B4) Friedrich Altenhein

Sprecher 1

Wilhelm Seibert kam wie der Korbacher Friedrich Altenhein in das Konzentrationslager Sachsenhausen. Die Gefangenen verrichteten dort Zwangsarbeit für die Rüstungsindustrie. Unterbringung und Versorgung waren menschenunwürdig, Folter, Misshandlungen und willkürliche Hinrichtungen an der Tagesordnung.

B5) Korbach 1938, Adolf-Hitler-Platz

Sprecher 2

Auftakt bildete ein ungehemmter NS-Terror, der zunächst Abrechnung die Gegner der Weimarer Republik einschüchtern sollte, dann aber instrumentalisiert wurde zur Herrschaftssicherung und Unterdrückung potentieller Gegner.

B6) Korbach, Hitlergruß

Sprecher 3

Ein totalitärer Staat wie das nationalsozialistische Deutschland duldete es nicht, wenn sich seine Bürger ihr eigenständiges Denken und Handeln bewahrten, wenn sie sich nicht bedingungslos dem Kommando der Diktatur unterordneten. Dennoch gab es Menschen, die sich nicht vom nationalsozialistischen Staat vereinnahmen ließen.

B7) WLZ, Reichstagsbrandverordnung

Sprecher 4

Terror und Verfolgung waren Grundpfeiler nationalsozialistischer Herrschaftssicherung. Eine systematische Bekämpfung und Verfolgung von Andersdenkenden war integraler Bestandteil der NS-Zeit. Nicht erst die Reichstagsbrandverordnung vom 28. Februar 1933 stellte eine legislatorische Grundlage eines staatlich verhängten Ausnahmezustandes dar, der es dem totalitären NS-Regime ermöglichte, rechtsstaatliche Grundlagen außer Kraft zu setzten. Menschen, die anders dachten oder Kritik äußerten, wurden inhaftiert.

Sprecher 5

Mit Brachialgewalt ebnete sich der Terror seinen Weg, Rechtstaatlichkeit war außer Kraft gesetzt, wie die Übergriffe des SS-Mannes H. belegen.

B8) Jude Goldberg

Sprecher 1

„Der [SS-Mann H.] hat im Jahre 1933/34 den Juden Goldberg aus Korbach zusammen mit seinen Kumpanen, an deren Spitze der berüchtigte Best stand, aus seiner Wohnung abgeholt und in die Marke [Waldgebiet bei Korbach] gefahren und dort derartig zerschlagen, dass der Zeuge Kaufmann den Juden Goldberg am nächsten Tage kaum wiedererkannt hat.“

„Der [SS-Mann H.] hat auch mitgewirkt, als Herr Hutwelker aus Korbach in die Marke gefahren wurde. Dort hat man diesen Mann an einen Baum gestellt und ihm erklärt, er würde erschossen werden. Zum Zwecke der besseren Einschüchterung waren damals Karabiner mitgenommen worden.“

B9) Korbacher SS

„Der [SS-Mann H.] hat aber sich nicht nur gegen Juden in dieser bestialischen Weise verhalten, sondern auch Christen in gleicher Weise schamlos misshandelt. Er hat den [Forstbeamten] Himrich dergestalt zerschlagen, dass diesem Mann das Nasenbein und der Kopf beschädigt worden sind. Er sagt selbst bei seiner Vernehmung, dass er im Kopf ein Loch neben dem anderen hatte, die Augen waren verklebt und geschwollen.

Sprecher 2

Mehr als 50 Männer wurden 1933 und 1934 in Korbach willkürlich verhaftet, wie die Sozialdemokraten Friedrich Bracht, Walter Seelenbinder, Walter Mosheim, Heinrich Schütz und Christian Ullrich.

B8) Friedrich Bracht (Photo: Privatarchiv Gerda Stiehl)

Friedrich Bracht, ein überzeugter Sozialdemokrat, widmete sich früh der Kommunalpolitik in Korbach. Neben seinem Engagement für die SPD betätigte er sich in der Gewerkschaftsbewegung. Bis zum SPD-Verbot 1933 war er Stadtverordneter und Gewerkschaftssekretär. Während des Ersten Weltkrieges wurde er schwer verwundet, es kam zu einer Beinversteifung. Mit der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten geriet er in den Fokus der Verfolgung.

Sprecher 3

NS-kritische Äußerungen führten zu seiner Verhaftung. Zwei Männer von der Geheimen Staatspolizei und ein Polizist drangen zwischen vier und fünf Uhr morgens in sein Haus im Neuen Weg 6 ein und stellten es komplett auf den Kopf. Alles wurde durchsucht. Sogar Schul-Zeichnungen des Sohnes wurden beschlagnahmt. Die Geheime Staatspolizei brachte Friedrich Bracht nach Kassel. Die Verhaftung erging auf Befehl der Kripo Kassel, die eine fix und fertige Liste mit den Namen der zu Verhaftenden übersandte.

B9) Friedrich Bracht mit Nachbarskindern (Photo: Privatarchiv Gerda Stiehl)

Sprecher 4

Trotz seiner schweren Beinverletzung kam er in einen Stehbunker. Für Bracht als Kriegsversehrten eine zusätzliche Folter. Als er aus der Haft zurückkehrte, war er „kreidebleich“ und ein gebrochener Mann. Man sah, dass ihm was Schreckliches passiert war. Friedrich Bracht wurde untersagt, über Vorkommnisse zu berichten. Die ganze Familie stand unter Beobachtung, die Kinder wurden benachteiligt.

Sprecher 5

Bei Ausschreitungen von SA- und SS-Leuten wurde nicht ermittelt. Der „Heimtückeparagraph“ stellte jegliche Kritik am NS-Regime unter Strafe. 1936 musste sich Pfarrer Heinrich Hübner vor dem Sondergericht Kassel wegen „Vergehen gegen das Heimtückegesetz“ verantworten. Ein Urlaubsgast zeigte Pfarrer Hübner an, weil er sich während der Predigt angeblich in „hetzerischer Weise gegen den Staat und seine Einrichtungen“ aussprach. U.a. soll er die Höherwertigkeit der „arischen Rasse“ in Abrede und den Bestand des „Tausendjährigen Reiches“ infrage gestellt haben.

B10) Bernhard Sturm mit Schülern

Sprecher 1

Opfer in Korbach waren zwischen 1933 bis 1939 nicht nur Kommunisten, Sozialdemokraten und Juden. Der Terror richtete sich genauso gegen Künstler, religiös Andersdenkende, bzw. Nichtangepasste. Mit Kriegsbeginn kam es zu einer Ausweitung der Verfolgungsgruppen. Kritische Lehrer verloren bereits früh ihre Stelle wie die Lehrer Bernhard Sturm und Hans Habermann.

Sprecher 2

B11) SA-Mann Fritz Best

Nicht einmal vor Behinderten machten Nationalsozialisten halt, wie dem körper- und sehbehinderten Ernst Klein aus Korbach. Er berichtet: „Im September 1933 wollte ich [63-jährig] in den Wald gehen, als ich [vom SA-Mann] Best, der im Auto vorgefahren kam, angehalten wurde. […] Er riß mir meinen Krückstock aus der Hand, packte und warf mich […] in das Auto. […] Hinter […] Rhena kam uns ein Motorrad entgegen. Best hielt den Wagen an, stürzte aus dem Auto […] und stieß den Motorradfahrer in den Straßengraben hinein. Der Motorradfahrer war der Kaufmann Nussbaum, [aus] Korbach. Auf den im Straßengraben liegenden N[ussbaum] schlugen nun Best und sein Komplize mit Gummiknüppeln in unmenschlichster Weise ein. Nachdem B[est] u. sein Begleiter den Nussbaum aufs übleste geschlagen hatten, fuhren sie mit mir nach Korbach. Auf der Fahrt nach Korbach schlug mich der Begleiter d[es] Best ins Gesicht, sodaß ich stark blutete. [Er] sagte: „Bevor wir dich einliefern, kommst du noch in die Folterkammer!“ Daraufhin wurde er übelst zugerichtet

.

Sprecher 3

Die Gefängnisse reichten nicht aus. Es kam zur Errichtung der Konzentrationslager Dachau und Breitenau. Weitere folgten. Etliche Korbacher fanden sich im KZ Breitenau, Dachau, Sachsenhausen oder Esterwegen wieder. Die Lager waren kein Geheimnis. Die Bevölkerung wurde über die Presse „informiert“.

B12) Delwin Katz

Sprecher 4

Erstes KZ-Opfer war der in Korbach geborene jüdische Arzt und Linksintellektuelle Delwin Katz, der am 17. Oktober 1933 im Konzentrationslager Dachau erdrosselt wurde. Weitere Verfolgte trugen lebenslange Verletzungen und Behinderungen infolge von Folter, tätlichen Übergriffen und Psychoterror davon (u.a. Verlust des Augenlichtes oder seelische Traumata).

B13) Konzentrationslager Dachau

Sprecher 5

Mit der Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler änderte sich in Deutschland nicht nur die Regierung. Deutschland verabschiedete sich spätestens mit diesem Datum für mehr als zwölf Jahre von der Demokratie. Dabei hätten sich die Deutschen spätestens 1925 in Hitlers „Mein Kampf“ über Pläne des „Führers“ informieren können: über seinen Antiparlamentarismus, Antisemitismus, Rassismus, Sozialdarwinismus, Führergedanken oder seine „Lebensraumpolitik“, die unweigerlich Krieg und Gewalt bedeuteten.

B14) Max Mohaupt

Sprecher 1

Widerstand in Politik, der Arbeiterbewegung, in Vereinen, im Bürgertum, der Kirche und Staat verdeutlichen die Vielschichtigkeit demokratischer und menschlicher Reststrukturen. Das demokratische und tapfere Verhalten Einzelner zeigt, dass Alternativen möglich waren.

Sprecher 2

Es bildeten sich Gruppen, die aktiven und passiven Widerstand gegen Hitler und seine Regierung leisteten. Zu keinem Zeitpunkt stand nämlich das gesamte deutsche Volk hinter Hitler. Vielmehr gab es immer eine Anzahl Andersdenkende, die passiv oder aktiv Widerstand leisteten, wie u.a. in Korbach auch Max Mohaupt und Auguste Schulz.

B15) Auguste Schulz

Sprecher 3

Sie bildeten Widerstandgruppen, verweigerten Befehle, verzögerten Maßnahmen, stellten sich schützend vor Verfolgte oder sammelten für deren Familien.

B16) Hans Habermann

Sprecher 4

Zahllose Korbacher und Korbacherinnen wurden von den Nationalsozialisten als Angehörige einer bestimmten „Gruppe“ z. T. willkürlich tyrannisiert, verfolgt, gar ermordet. Von vielen dieser Opfer ist bis heute nichts oder nur wenig bekannt. An sie soll erinnert werden, die beinahe vergessenen oder unbekannten Schicksale, wie an das Schicksal der Lehrers Habermann.

B17) Friedrich Bracht-Straße in Korbach

Sprecher 5

In Korbach zeigen sich etliche Beispiele unangepassten Verhaltens und aktiven Widerstands. Leider war die Gruppe derer, die gegen Hitler stimmte, zu gering! Heute erinnert z.B. die Friedrich-Bracht-Straße an einen Korbacher Sozialdemokraten, der Widerstand leistete: Ein Vorbild für nachfolgenden Generationen.

Wir danken für ihre Aufmerksamkeit!

B18) Standbild

© Dr. Marion Lilienthal

Mit freundlicher Unterstützung des:
Stadtarchivs Korbach
Waldeckischen Geschichtsvereins
Stadtarchivs Kassel
Staatsarchivs Marburg

Copyright © Marion Lilienthal

Technische Realisierung: Anne Kersting, Dominic Antony