Erste „Euthanasie“-Opfer

Die Ermordung jüdischer Patientinnen und Patienten

Durch die nationalsozialistische Rassenideologie wurden jüdische Patienten und Patientinnen in zweifacher Hinsicht verfolgt: als Juden und als Kranke. Die Entscheidung zur systematischen Ermordung wurde im Frühjahr 1940 gefällt.

Am 15. April 1940 ordnete das Reichsinnenministerium zunächst die Erfassung an. Im Juni/Juli begann die systematische „Ausrottung“ jüdischer Anstaltspatienten aus Berlin und Brandenburg, die u.a. am 1. Oktober mit der Ermordung jüdischer Patienten und Patientinnen aus Korbach und Waldeck ihre Fortsetzung fand.

Am 28. Juni 1940 erreichte die Landesheilanstalten Haina und Merxhausen die Aufforderung, bis zum 1. August 1940 alle jüdischen Patienten zu melden. Nachdem jüdische und nichtjüdische Patienten u.a. auch der Landesheilanstalt Marburg bis zum 1. August 1940 zu melden waren, erhielt der Oberpräsident der Provinz Hessen-Nassau (Kassel, Ständehaus) für den Bezirksverband Hessen am 30. August 1940 ein Schreiben mit der Aufforderung zur „Verlegung geisteskranker Juden“.

In der Begründung des Reichsinnenministers heißt es: „Der noch immer bestehende Zustand, daß Juden mit Deutsche[n] in Heil- und Pflegeanstalten gemeinsam untergebracht sind, kann nicht weiter hingenommen werden […]. Zur Sicherung der Transporte sind die in Frage kommenden Geisteskranken zum 25. September 1940 […] in die Landesheil- und Pflegeanstalt Gießen zu überstellen.“ Sie diente zur Vorbereitung der Zusammenlegung jüdischer Patienten/innen aus Nordhessen und Ostwestfalen, bevor sie in einer T4-Tötungsanstalt ermordet wurden.

Nach einer rassistischen Selektion wurden Anstalten und Heime des gesamten Deutschen Reiches angewiesen, „Volljuden“ deutscher oder polnischer Staatsangehörigkeit sowie staatenlose „Volljuden“ in entsprechende Sammelanstalten zu überführen.

Unter ihnen befanden sich auch Bernhard und Klara Löwenstern aus Korbach und Affoldern, die in der „Euthanasie“-Tötungsanstalt Brandenburg einen fürchterlichen Tod fanden. Aus den Gaskammern, als Duschen getarnt, gab es kein Entrinnen. Bei jüdischen Patienten war die Entscheidung weder vom Schweregrad der Erkrankung noch von ihrer Arbeitsfähigkeit abhängig.

Über die Unterbringung, ihre Ängste und ihre Verfassung ist nichts Näheres bekannt, belegt ist hingegen, dass Bernhard und Klara Löwenstern nach wenigen Tagen am 1. Oktober 1940 mit 124 weiteren jüdischen Patienten im Alter von 14 bis 79 Jahren in die Tötungsanstalt Brandenburg verlegt wurden, wo man sie – so ist zwingend anzunehmen - noch am gleichen Tag vergaste. Angeblich hatte man sie in eine „Sammelanstalt“ nach Polen verlegt, dabei wurden sie in der Gaskammer der Euthanasie-Tötungsanstalt Brandenburg ermordet.

Die ganze Widerwärtigkeit wurde noch dadurch gesteigert, dass man sich auf Kosten der jüdischen Patienten bereicherte. Obgleich der Großteil der jüdischen Patienten tot war, verfügte im November 1940 der Oberpräsident in Kassel rückwirkend die Erhöhung der Pflegesätze.

 

 

 

 

 

„Verlegung geisteskranker Juden“ (Abschrift)

(Quelle: Archiv LWV )

 

 

 

 

 

 

Verwaltungsgebäude der Landesheil- und Pflegeanstalt Gießen (1.5.1936)

(Quelle: Archiv LWV )

 

 

 

 

 

 

Landesheilanstalt Gießen 1927

(Quelle: Archiv LWV )

 

 

 

 

Tötungsanstalt Brandenburg, Innenhof mit Kapelle

(Quelle: Archiv Gedenkstätte Brandenburg)

 

 

 

 

 

Gedenkstätte Brandenburg

(Quelle: Archiv Gedenkstätte Brandenburg)

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