Festplatz an der Medebacher Landstraße

(Instrumentalisierung und Ideologisierung)

Der Ideologisierung, Emotionalisierung und Politisierung der Bevölkerung dienten unzählige Aufmärsche, Gedenktage, Feierstunden, Parteitage, Fackelzüge oder das gemeinschaftliche Hören von Rundfunkübertragungen auf dem „Adolf-Hitler-Platz“ (Berndorfertorplatz) oder der „Hauer“. Derartige Veranstaltungen sollten die „Größe der neuen nationalen Bewegung“ vermitteln und die Bevölkerung im Sinne des Nationalsozialismus einstimmen.

 

Darré Blick über Aufmarschplatz

Darré-Kundgebung auf der Hauer am 27. März 1938,
Blick über den Aufmarschplatz:  im vorderen Bild die SS-Verfügungstruppe Arolsen

Lage und Größe der „Hauer“ ermöglichten imposante Großveranstaltungen, gesäumt von riesigen Hakenkreuzfahnen und brennenden Opferschalen. Die „Hauer“ (ehemals alter Zimmerplatz zum „Behauen“ der Balken) diente als Festplatz, Treffpunkt der Hitlerjugend, Vereidigungs- und Appellplatz, imposante Aufmarschstätte, militärischer Übungsplatz der SS-Sportschule und des österreichischen „SA-Hilfswerks Nordwest“, der feierlichen Fahnenweihe oder dem Abschreiten ganzer Truppen- bzw. NS-Formationen.

„Corbach, 16. Mai. [1933] HJ. und DJ. Aufmarsch in Corbach. Im gleichen Schritt schlugen harte Nägelschuhe aufs Pflaster und der Wind trug die Weisen alter Soldatenlieder durch die Gassen und Straßen der Stadt. Neugierige Gesichter erschienen an den Fenstern, rissen die Flügel auf und wollten sich baß verwundern, wie diese jungen Kerls, die doch noch gar nicht gedient hatten, so stramm in Reih und Glied in ihren braunen Uniformen daher marschierten. Das war die HJ., die DJ. Ordnung und Disziplin, das sind die Grundsätze für die Erziehung jungen deutschen Soldatentums! So marschieren 300 Jungen am Sonntag unter den Klängen des Parademarsches an ihrem Unterbannführer Arnim von Schmieden vorbei und bewiesen altes Preußentum aufs neue. Am Ende des Appells auf der Hauer erklang das Horst-Wessel-Lied und zukunftsfrohe Jugend rief in den [...] Tag ihr Sieg-Heil - trutzig und stark.“

 „Korbach, 12. Juli [1940]. Vormusterung für den HJ-Streifendienst. Am Mittwochabend waren die Motorgefolgschaft, die Fliegerschar und die Führermannschaften der Gefolgschaft Berndorf, des Fähnleins Berndorf und des Fähnleins Korbach auf der Hauer zu einem Appell angetreten, in dessen Rahmen eine Vormusterung für den Streifendienst der HJ erfolgte.[...] Nur die körperlich kräftigen, gesunden und SS-fähigen Jungen werden dann endgültig in den HJ-Streifendienst übernommen.“

Die heutige Lage der Hauer  ist mit der der 30er Jahre keineswegs identisch. Der Kartenausschnitt vermittelt einen Eindruck von der Größe und Ausdehnung der damaligen Anlage.

 

  
Karte 1937 Göring-Kampfbahn

Kartenausschnitt von 1937 mit der Göring-Kampfbahn

Riesige Hakenkreuzfahnen zogen den Blick des Betrachters auf sich. Tausende Besucher (manchmal 4 000 bis 7 000) säumten während der Feierlichkeiten – die im Sinne der NS-Ideologie instrumentalisiert und umgedeutet wurden - die Hauer.

Reichsbauernführer Darré weilte am 27. März 1938  in den Mauern Korbachs und sprach während einer Großkundgebung auf der Hauer. Vor dem Rednerpult hat die SS-Verfügungstruppe Arolsen Aufstellung genommen, am rechten Bildrand die Korbacher SA, umrahmt von Parteifunktionären.

Darré spricht

Darré spricht am 27.03.1938 auf der Hauer.

„Als Reichsminister Darré nach der Begrüßungsansprache des Kreisleiters das Wort ergreift, stehen ca. 7.000 Volksgenossen vor ihm, bereit seine Befehle entgegenzunehmen. Zwei Stunden fast klingen seine Worte über den Platz […].“
 
Darré und Josias v

Reichsminister Darré (links) uns Josias zu Waldeck und Pyrmont (rechts) am 27. März 1938

 

Am 1. April 1939 rückte die Abteilung 8/221 im neu errichteten Reichsarbeitsdienstlager in der Nähe des Hauerstadions (Göring-Kampfbahn) ein. Im Beisein des Arbeitsführers Dunker und des Bürgermeisters Dr. Zimmermann erfolgte am 3. April die feierliche Vereidigung. Am 16. Juni 1939 übergab Generalarbeitsführer Neuerburg der Reichsarbeitsdienstabteilung 8/221 Korbach die „Fahne der Bewegung“.

„Kurz vor 16 Uhr marschierte die Abteilung mit Spielmannszug und Musikzug auf der Hauer vor dem mit den Symbolen des Reichsarbeitsdienstes geschmückten Rednerpult auf. Kurze Zeit später rückten auch Ehrenformationen der SA, SS, der Hitler-Jugend und des Jungvolkes mit ihren Fahnen an, die neben dem Podium Aufstellung nahmen. Inzwischen hatten sich die Vertreter der Partei, die Führer der Gliederungen und angeschlossenen Verbände, die Behördenvertreter und die Angehörigen des Gruppenstabes ebenfalls auf der Hauer eingefunden. Um 16 Uhr traf Generalarbeitsführer Neuerburg im Kraftwagen auf der Hauer ein, wo ihm die Abteilung gemeldet wurde. Unter den Klängen des Präsentiermarsches schritt er die Front der präsentierenden Arbeitsmänner und der Ehrenformation ab.“
 

RAD Fahenübergabe h

 

Generalarbeitsführer Neuerburg (links) übergibt dem Leiter der RAD-Abteilung 8/221 Oberstfeldmeister  Klingelhöfer die Fahne

 

 

 

 

 

 

 

 

Mit mahnenden Worten erinnert Generalarbeitsführer Neuerburg in einem feierlichen Akt an die so genannten „Blutopfer der Bewegung“: „Haltet es rein [,] das rote Tuch, gedenkt derer, die einst für die Fahne gefallen sind!“ Und weiter künden die Worte: „Fliege, Fahne, zum Sieg oder Tod. Siege, Fahne, auch wenn wir sterben müssen! Kameraden, seid bereit!“ Gleich 200 Kehlen künden: „Deutschland, wir schwören dir, Deutschland, dir gehören wir! Führer, wir folgen Dir auf allen Wegen für Deutschland!“ Dann  erklingt das Lied: „Nun laßt die Fahnen wehen in das große Morgenrot, das uns zu neuen Siegen leuchtet oder brennt zum Tod“.

Die „Fahne ist mehr als der Tod“ und ähnliche Zeilen verdeutlichen den überhöhten Charakter des Fahnenkultes in der NS-Bewegung. 

Die höchste war die Blutfahne, die angeblich am 9. November 1923 während des Hitler-Ludendorff-Putsches mit dem Blut des Fahnenträgers getränkt und zum sakralen Kultgegenstand der Partei stilisiert wurde. Dass dieser Putsch scheiterte und Hitler sich absetzte, spielte scheinbar keine Rolle.

Die Hakenkreuzfahne, die bei dem gescheiterten Putsch mitgeführt wurde („Blutfahne“ bzw. „Fahne der Bewegung“), war in der Vorstellung der Nationalsozialisten durch das Blut der getöteten Anhänger in besonderer Weise geweiht worden.

Daher wurden ab 1926 verschiedenste Parteifahnen durch Berührung der Blutfahne „gesegnet“. Man knüpfte damit an mittelalterliche Traditionen des „Weihens“ an, wie der Übertragung der Blutgerichtsbarkeit (Berechtigung zur Todesstrafe) durch das Berühren einer roten Fahne.

„Die Fahne ist mehr als der Tod“, sollte für viele Korbacher bald bittere Realität werden.

Mit dem Überfall deutscher Truppen auf Polen 1939, vorbereitet durch ein propagandistisches Trommelfeuer und einen von der SS vorgetäuschten polnischen Angriff auf den Rundfunksender Gleiwitz, begann der Zweite Weltkrieg. Tägliche Berichte über polnische Gräueltaten gegen Volksdeutsche in Polen bereiteten den Einmarsch vor.

 

Musterungskommission

Mobilmachung vor dem „Hauerhäuschen“, 1939

Anfänglich jubelten noch viele Korbacher über die Erfolge der deutschen Truppen. Fern der Heimat, fanden in besetzten Gebieten erste Massenerschießungen jüdischer Bürger statt, von Frauen und Kindern. Der Genozid an einem ganzen Volk begann.

Das barbarische System des Nationalsozialismus fand 1945 sein jähes Ende, das viele Millionen von Menschen das Leben gekostet hatte – einen beispielhaft sinnlosen Opfertod.

Zwölf Jahre NS-Regime hinterließen Millionen von Toten, Trümmerfelder, Kriegsgefangenschaft, Flüchtlingsströme, umherirrende Evakuierte, zerbrochene Familien, Hunger, Kriegsinvaliden,  eine verlorene Jugend, gebrochene Seelen oder für viele einfach nur grenzenloses Elend und unvorstellbare Not.

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