Die Brüder Alfred und Siegfried Kaufmann

(Überlebende)

Nach Recherchen der „Arbeitsgemeinschaft Spurensuche“, veröffentlich 1989, sind von 154 - zumindest vorübergehend - in Korbach gemeldeten Bürgern jüdischen Glaubens

           60       ausgewandert,
           12       in Korbach verstorben,
           30       im Inland verzogen (über das weitere Schicksal liegen keine Informationen vor),
           52       in Konzentrationslager gekommen.

Davon sind 45 in Konzentrationslagern ermordet worden, nur 7 haben die Konzentrationslager überlebt.

Unter diesen sieben Überlebenden waren die Gebrüder Alfred und Siegfried Kaufmann.

Die Eltern waren 1910 aus Zierenberg zugezogen und wohnten in der Bahnhofstraße 10. Der Vater, Rudolf Kaufmann, betrieb seit September 1910 ein Textil- und Schuhwarengeschäft zunächst im damaligen Postgebäude.

Kaufmann Rudolf  Geschäftsanzeige

1905 erblickte der Sohn Siegfried das Licht der Welt, 1911 folgte Alfred.

Im Juli 1933 zog die Familie in die Windmühlenstraße 9 (Eigen-tümer: Ludwig) und im Juli 1934 in die Kirchstraße 13 (Eigentümer: jüdische Familie Löwenstern).

1941 gaben die Nationalsozialisten den „Befehl“ zur „Endlösung der Judenfrage“, das heißt, zur physischen Vernichtung der jüdischen Bevölkerung.

Im September 1941 erfolgte die erste Deportation Korbacher Juden zunächst in ein Sammellager nach Wrexen. Unter ihnen befanden sich auch Siegfrieds und Alfreds Eltern. 1942 erfolgte von Kassel aus ihre Deportation in Konzentrationslager im Osten. Sie sollten nicht mehr lebend zurückkehren.

  


Zu diesem Zeitpunkt waren Siegfried Kaufmann, seine Ehefrau Gertrud und ihre erst vier Jahre alte Tochter Helga (*1938) bereits am 09. Dezember 1941 nach Riga/Lettland deportiert worden.

Im Juni 1941, von deutschen Truppen eingenommen, richteten die nationalsozialistischen Besatzungsbehörden – wie in vielen anderen eingenommenen Gebieten – noch im selben Jahr ein Konzentrationslager ein, in dem über 10 000 lettische und deportierte deutsche Juden ermordet wurden, wie die kleine Helga Kaufmann, die das Lager nicht mehr lebend verlassen sollte.

Mehr Glück hatten die Eltern. Siegfried wurde in das KZ Stutthof verlegt, aus dem er am 06. August 1945 nach Korbach zurückkehrte.  Alfred Kaufmann wurde auch wie seine Eltern im September 1941 zunächst nach Wrexen deportiert. Am 09.12.1941 erfolgte seine Deportation nach Riga, danach ins KZ Sachsenhausen/Oranienburg. Am 23.07.1945 kehrte er aus Bergen-Belsen zurück.

Meldekarte Kaufmann Alfred

Vermerk zu Alfred Kaufmann auf der Einwohnermeldekarte des Vaters Rudolf Kaufmann

Bergen-Belsen, 40 km nördlich von Hannover bei Celle gelegen, war ein berüchtigtes Konzentrations- und Auffanglager. Als bei Kriegsende die SS die frontnahen KZs räumte, um die Häftlinge nicht lebend in die Hände der „Feinde“ fallen zu lassen, wurde Bergen-Belsen zum Ziel etlicher „Evakuierungstransporte“. Nach tage- und wochenlangen Irrfahrten und Fußmärschen waren die Häftlinge vollkommen ausgezehrt (Todesmärsche). Als die Briten am 15. April 1945 das Lager befreiten, bot sich ihnen ein Bild des Grauens – 56.000 hungernde, kranke, durstende und frierende Männer, Frauen und Kinder sowie über 10.000 unbeerdigte Leichen.

Im Konzentrationslager Sachsenhausen/Oranienburg stießen die beiden Brüder auf den Korbacher politisch Verfolgten Friedrich Altenhein, der ebenfalls interniert war. Als politisch Verfolgter im KZ besser verpflegt, steckte Friedrich Altenhein während der Zeit den Brüdern öfters Essen zu, die aus Dankbarkeit versprachen, dass, sollten sie jemals das Lager wieder lebend verlassen, Friedrich Altenhein keine Not mehr leiden müsse. Als Friedrich Altenhein 1946 in Kassel ankam, holten Alfred und Siegfried ihn mit ihrem Auto ab. Sie hielten ihr Wort.

Zusammen mit seinem Bruder Siegfried eröffnete Alfred Kaufmann im ehemaligen Laden der jüdischen Familie Weit-zenkorn, von der als einzige die kleine Tochter Marianne die Zeit des Nationalsozialismus über-leben sollte, in der Professor-Kümmell-Straße 5 ein Textilgeschäft, das sie bis 1958 gemeinsam führten.

 

 

 

Rosa Simons (verwitwet), geborene Löser, kehrte am 06. August 1945 zusammen mit Siegfried Kaufmann aus dem Konzentra-tionslager Stutthof nach Korbach zurück, seine Ehefrau Gertrud ging nach Auflösung der Konzentrationslager nach Kassel.

 

 

Das Konzentrationslager Stutthof mit seinem weit verzweigten Netz von Außenlagern, östlich von Danzig an der Weichselmündung gelegen, wurde 1942 eingerichtet. Aufgrund extrem schlechter Arbeits- und Lebensbedingungen, häufiger Hinrichtungen und der Ermordung der Häftlinge in den Gaskammern des Lagers ab 1944 kann man von einem Vernichtungslager sprechen. Von etwa 115 000 Gefangenen wurden 65 000 Menschen ermordet. Stutthof diente ab Sommer 1944 als Ziel- und Umschlagplatz für die wegen des Vormarsches der Alliierten Truppen aus den baltischen KZs sowie aus Auschwitz „evakuierten“ Juden (Todesmärsche).

Die Haft- und Internierungszeit hinterließ bei Siegfried und Gertrud Spuren, die nicht einfach wie ein Mantel nach der Befreiung durch die Alliierten abgestreift werden konnte. Die Ehe wurde 1946 geschieden.

Am 02. Oktober 1946 heiratete Siegfried Kaufmann die Witwe Rosa Simons, die am 20. Februar 1950 wenige Tage nach der Geburt ihrer Tochter Ursula verstarb. Sie wurde als eine der letzten jüdischen Bewohnerinnen auf dem jüdischen Friedhof in Korbach beigesetzt.

Siegfried wohnte nach seiner Rückkehr aus dem Konzentrationslager zunächst in der Lengefelder Straße 5, von wo aus er mit seiner zweiten Frau Rosa in die Professor-Kümmell-Straße 5 verzog. Dort betrieb er gemeinsam mit seinem Bruder das Textilgeschäft.

Das Haus in der Professor-Kümmell-Str. 5 wird heute noch als Geschäftshaus genutzt, jedoch nicht mehr von den Brüdern Kaufmann.


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Siegfried Kaufmann heiratete am 17. März 1951 die Kindergärtnerin Leonore Indefrey, mit der er im März 1958 nach Kassel ging. Im Jahre 1961 verzog Alfred Kaufmann mit seiner Familie nach Frankfurt a.M. Mit diesem Datum endet endgültig die Existenz der jüdischen Gemeinde in Korbach.

 

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